Erste Ergebnisse aus erster repräsentativer Längsschnitt-Studie über Ursachen und Folgen von Kriminalität verfügbar

Faktenbasierte Grundlage zum Umgang mit Kriminalität: Forschungsteam des Zentrums für Kriminologische Forschung Sachsen hat Forschungs-Panel eingerichtet und erste Ergebnisse zur Wahrnehmung von Straftaten veröffentlicht.

Die Wahrnehmung von Straftaten und Kriminalität beruht nicht allein auf Fakten, sondern setzt sich aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren zusammen. Ein verwandter Aspekt ist die Wahrnehmung von Straftäterinnen und Straftätern in der Bevölkerung. In Deutschland gibt es dazu bislang kaum Erkenntnisse, obwohl dieser Aspekt Einfluss auf den Umgang mit Kriminellen haben und wichtige Ansatzpunkte für Politik und Praxis im Bereich der Kriminalitätsprävention bieten kann.

Um Licht ins Dunkel zu bringen, hat das Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen e. V. (ZKFS), ein An-Institut der Technischen Universität Chemnitz, die „Panelstudie zur Wahrnehmung von Kriminalität und Straftäter:innen“ (PaWaKS) entwickelt. Die Projektleitung hat Dr. Deliah Bolesta inne, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZKFS. Zum PaWaKS-Team gehören zudem Prof. Dr. Frank Asbrock, Direktor des ZKFS und Inhaber der Professur Sozialpsychologie an der TU Chemnitz, Jennifer Führer, stellvertretende ZKFS-Direktorin, sowie die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Rowenia Bender und der Wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Aaron Bielejewski.

Es handelt sich um die erste repräsentative Längsschnitt-Studie, die auf die Wahrnehmung von Kriminalität sowie von Straftäterinnen und Straftätern zielt. Die Untersuchung ist in vier Teilaspekte  gegliedert, die jeweils Teil von vier Erhebungswellen sind: „Kriminalitätsfurcht und Kriminalitätsentwicklung“, „Stereotype über Straftäter:innen“, „Intergruppen-Kontakt mit Polizei, Justiz und Straftäter:innen“ sowie „Vertrauen in Polizei, Justiz und öffentliche Verwaltung“. Von den Ergebnissen versprechen sich die Forscherinnen und Forscher Rückschlüsse auf Ursachen und Folgen von Kriminalität sowohl für die Allgemeinbevölkerung als auch für die straffällig gewordenen Personen.

Die erste Erhebung fand von Ende März bis Anfang April 2022 statt. Hier erhoben die Forscherinnen und Forscher eine repräsentative Stichprobe (N = 5.000) unter der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland und speziell in Sachsen (n = 500). Sachsen deswegen, weil im Freistaat ein Forschungsschwerpunkt des ZKFS liegt. Erste Ergebnisse dieser Untersuchung sind nun verfügbar. Sie bilden keinen kausalen Zusammenhang ab, sondern geben Einblick in den aktuellen Ist-Zustand. Aktuell werden die Ergebnisse für die Begutachtung und Veröffentlichung in einem Fach-Journal vorbereitet.

Die aktuelle Bericht-Serie ist online unter www.zkfs.de/pawaks verfügbar und bezieht sich auf die Daten der ersten Erhebungswelle.

Untersuchung des Ist-Zustandes – Objektive und subjektive Kriminalitätswahrnehmung gehen stark auseinander

„Unsere Daten zeigen, dass die tatsächliche und die subjektiv wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung in Deutschland auseinandergehen“, sagt Deliah Bolesta. Das heißt, dass die tatsächlich sinkende Zahl von Straftaten keinen Grund zur Besorgnis geben sollte. Allerdings sieht die Realität in der Gesellschaft laut der Daten des Teams anders aus. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass das vor allem an bestimmten Faktoren der subjektiven Wahrnehmung liege.

„Verschwörungsmentalität“ hat großen Einfluss

Ein wesentlicher Faktor für die Kriminalitätswahrnehmung sei die sogenannte „Verschwörungsmentalität“ – und damit verbunden die Überzeugung, dass es einen Zusammenbruch gesellschaftlicher Werte und Normen geben werde. Das Team um Deliah Bolesta stellte aber auch fest: „Es stimmt positiv, dass man mit steigendem Vertrauen in die Justiz und mit positiven Kontakten zu Kriminellen auch eine leicht schwächere Kriminalitätsfurcht feststellen kann.“ Das direkte Gespräch mit Kriminellen und funktionierende rechtsstaatliche Institutionen erhöhen damit das Vertrauen in selbige und mindern die Furcht vor Verbrechen.

Hohes Vertrauen in Polizei und Justiz – Kriminalitätsrate wird entgegen den Statistiken als zunehmend wahrgenommen

„Die Ergebnisse der ersten Untersuchung zeigen, dass kein Zusammenhang zwischen tatsächlicher und der subjektiven Wahrnehmung der Kriminalitätsentwicklung besteht“, sagt Bolesta. Das heißt, dass die Kriminalitätsrate als zunehmend wahrgenommen wird (Bolesta & Führer 2022), obwohl sie in Wirklichkeit seit Jahren stetig abnimmt. Diese Wahrnehmung hing wiederum zusammen mit der allgemeinen Sorge davor, selbst Opfer von Kriminalität zu werden. Diese Sorge beziehungsweise Furcht korrelierte beispielsweise ebenfalls positiv mit einer Verschwörungsmentalität oder einem individuell gesteigerten Schutz- und Vermeidungsverhalten. Das heißt, dass Menschen, die dazu neigen Verschwörungserzählungen zu glauben, eine größere Furcht haben, Opfer von Verbrechen zu werden.

Weiterhin zeigen die Ergebnisse, dass das Vertrauen in Polizei und Justiz generell eher hoch in Deutschland ausgeprägt sei. Jedoch haben Personen mit einer höheren Kriminalitätsfurcht tendenziell weniger Vertrauen in diese Institutionen. Alter, Bildung und sozioökonomischer Status hingegen korrelieren damit positiv (Bolesta & Führer 2022). Das heißt: Je älter, gebildeter und finanziell abgesicherter die Probandinnen und Probanden waren, desto mehr Vertrauen hatten sie in die Institutionen.   

Positive Kontakte erhöhen Vertrauen

Darüber hinaus untersuchten die Forscherinnen und Forscher die Kontakterfahrungen der Befragten mit Polizei, Justiz und Straftäterinnen sowie Straftätern. Diejenigen, die Kontakt zu Polizei und Justiz bzw. zu Straftäterinnen und Straftätern angaben, beschrieben diesen Kontakt als überwiegend positiv. Positiver Kontakt zu Polizei und Justiz ging auch mit einer positiven Einstellung und höherem Vertrauen gegenüber diesen Institutionen einher. Gleichzeitig zeigte sich aber ein leicht negativer Zusammenhang zur Einstellung gegenüber Straftäterinnen und Straftätern.

Positiver Kontakt mit Straftäterinnen und Straftätern hing mit wohlwollenden Einstellungen ihnen gegenüber zusammen; allerdings nicht mit abwertenden Einstellungen zur und Vertrauen in Polizei und Justiz. Dieser Befund spricht gegen abträgliche Nebeneffekte von Kontakt mit Straftäterinnen und Straftätern (Bender & Asbrock 2022). Das heißt konkret: Mehr Kontakt und Austausch zwischen der Öffentlichkeit und Straftäterinnen sowie Straftätern erhöht das Vertrauen in den Rechtsstaat und schafft mehr Verständnis für die Situation Krimineller.

„Straftäter-Begriff“ ruft fälschliche Stereotypisierungen hervor

Weiterhin zeigte sich, dass der Begriff „Straftäter“ bestimmte Stereotype bei den Befragten hervorrief, die aber nicht mit den tatsächlichen soziodemographischen Eigenschaften von Straftäterinnen und -tätern übereinstimmen. „Wir konnten drei verschiedene Stereotypen-Cluster feststellen“, sagt Projektleiterin Bolesta. Das Stereotyp, das die meisten Befragten angaben, das aber in keiner Weise von der polizeilichen Kriminalitätsstatistik gedeckt ist, war das des nicht-deutschen Täters beziehungsweise der nicht-deutschen Täterin mit Eigentums- und Gewaltdelikten.

Dieses Stereotyp des „straffälligen Ausländers“ bildet aber keinesfalls die tatsächliche Mehrheit der Täterinnen und Täter ab. „Uns interessierte daher vor allem, wovon die verschiedenen Stereotypen abhängig sind“, sagt Bolesta. Diese Stereotype unterscheiden sich von Person zu Person und sind unter anderem abhängig von ideologischen Einstellungen wie „Sozialer Dominanzorientierung“ oder „Autoritarismus“, wahrgenommener „Kriminalitätsentwicklung“, dem „Kontakt zu Straftäterinnen und Straftätern“ oder unterschiedlichen Weltsichten wie beispielsweise dem Glauben an eine Welt im ständigen Konkurrenzkampf (Bolesta & Führer 2022).

Die zweite Erhebungswelle des Panels startet Ende September 2022: „Mit unserer Forschung möchten wir eine faktenbasierte Grundlage für eine gesellschaftliche Diskussion zum Umgang mit Kriminalität in Sachsen und darüber hinaus ermöglichen“, sagt Deliah Bolesta.

Hintergrund: Das ZKFS

Das Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen (ZKFS) ist seit Dezember 2021 An-Institut der Technischen Universität Chemnitz und somit die erste sozialwissenschaftliche Einrichtung, die diesen Status erhalten hat. Das ZKFS führt grundlagen- und praxisorientierte kriminologische Forschung mit einem sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt durch. Hierfür ist unter anderem eine fortlaufende Erhebung von Daten zur Kriminalitätsentwicklung und zur Wahrnehmung dieser in der Allgemeinbevölkerung sowie in öffentlichen Diskursen essentiell.

Quelle: Pressemitteilung der Technischen Universität Chemnitz vom 16.08.2022